DURCH (W)ORTE: Reisen und Schreiben im niederländisch- und deutschsprachigen Raum zwischen 1800 und 1950 / THROUGH WORDS AND PLACES: Travel and writing in Dutch and German-speaking regions of Europe between 1800 and 1950
Interdisziplinäres Forschungskolloquium vom 1.-2. März 2013 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster / Interdisciplinary research colloquium from March 1st -2nd, 2013, to be held at the University of Münster
Call for Papers
– English version below –
Einsendeschluss für Abstracts: 30. Juni 2012
Mit dem Konzept der Reise verbinden sich weite Entfernungen, Exotik und die Konfrontation mit dem Anderen. Reisen fand und findet jedoch ebenso im kleineren Rahmen, etwa in auch sprachlich zunächst gar nicht so „anders“ erscheinende Nachbarländer und -regionen statt: Die Niederlande, Belgien, Deutschland, die Schweiz und Österreich sind im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert trotz ihrer nationalen Grenzen ein ökonomisch, politisch und gesellschaftlich eng verflochtener Raum. Dies äußert sich auch in konkreten Reisebewegungen, die ein Netz von Verbindungen über deutsch- und niederländischsprachige Regionen legen.
Das Kolloquium möchte diesen Reisewegen in doppelter Form nachgehen: einerseits dem Reisen als kultureller Praxis im historischen Kontext und andererseits dem Schreiben über das Reisen als textueller Praxis. Das Reisen als kulturelle Praxis betrifft den konkreten Vorgang des Reisens in seiner kulturellen Einbettung: Reiseorganisation und –gesellschaften, Transportmittel und Reiseutensilien, Reisen im sozialen (z.B. Reisen als Statussymbol), kulturellen (z.B. Reisekleidung) wie historischen Kontext (z.B. der Erste Weltkrieg als Impuls für verstärktes Reisen). Dabei bieten etwa die Tourismusforschung, die Ethnologie und die Anthropologie Impulse, um Reisen als kulturell und historisch eingebettete Handlung einzuordnen, die mit sozialen, kommunikativen und ideologischen Werten verbunden ist. Das Schreiben über das Reisen als textuelle Praxis nimmt neben der filmischen Inszenierung des Reisens eine Vielzahl von Texten wie den Reisebericht, die Reisereportage, die Reiseerzählung, den Reiseführer und den Reiseroman unter Problematisierung von Genregrenzen in den Blick. Das Reisen kann auf verschiedene Weise zum Motor des Erzählens werden: Durch verschiedene Verfahren textueller Inszenierung entwickelt es als textuelle Praxis eine Eigendynamik, die weit über die Wiedergabe der erfahrenen Dynamik des Reisens hinausgeht und die Frage nach der Literarizität der Texte aufwirft.
Die folgenden Analyseschwerpunkte bieten sowohl für kulturhistorische wie literaturwissenschaftliche Perspektiven gemeinsame Parameter:
I. „Beeldvorming:“ Selbst- und Fremdbilder
Das Reisen als kultivierter Ausnahmezustand im Sinne der zeitlich begrenzten Bewegung in einen anderen Raum bietet vielfältige Möglichkeiten, sich eine Vorstellung über das bereiste Land zu bilden und damit die eigene Identität zu verhandeln. Selbst- und Fremdbilder spielen sowohl auf regionaler und nationaler Ebene eine Rolle und bieten im sich verändernden historischen und politischen Kontext der untersuchten benachbarten Länder und Regionen eine vielfältige Forschungsperspektive. Der Blick auf die Perspektive von Reisenden, die aus dem niederländisch- bzw. deutschsprachigen Raum stammen und in diesem Raum reisen, kann dabei ergänzt werden durch den Einbezug der Perspektive von Reisenden, die den deutsch-niederländischen Raum bereisen, ohne aus ihm zu stammen.
II. Dynamische Räume
Für das Reisen sind Räume nicht nur durchquerbare „Territorien.“ Raum wird von den Reisenden auf vielfältige Weise selbst geschaffen und mit Bedeutung aufgeladen, etwa im Hotel als Ort der Kontaktaufnahme, im Monument als Ort der „Sehenswürdigkeit“ oder im Zug als „Bewegungsraum.“ Im Reisen als textueller Praxis prägen außerdem „Topoi,“ Gemeinplätze, die Texte und steuern unabhängig vom „tatsächlichen“ Reiseverlauf die Textstruktur. Es bieten sich vielfältige Analyseperspektiven, in denen Raum Prozesse kultureller Bedeutungsproduktion offen legt.
III. Individualität vs. Kollektivität
Reisen als kulturelle wie als textuelle Praxis situiert sich im Spannungsfeld zwischen Individualität und Kollektivität. Wird auf individueller Ebene der authentische Kontakt zum Anderen gesucht, stellt sich – etwa im Bezug auf die (literarische) Grenzfigur des „Touristen“ – die Frage nach dem Verhältnis dieser Suche zur kollektiven und aufgearbeiteten Reiseerfahrung, wie sie sich in massenhaft produzierten Reiseführern oder im aufkommenden literarischen Tourismus zeigt. Im Inszenieren von Authentizität können Reisetexte mit anderen Genres wie der Autobiografie oder dem historischen Roman verglichen werden.
IV. Reisen auf Mikro- und Makroebene
Neben der mehrwöchigen Reise im größeren Rahmen finden Reisen im 19. und 20. Jahrhundert ebenso auf Mikroebene, etwa im Tagesausflug mit Zug oder Auto, statt. Auch auf der Mikroebene schafft das Reisen einen außergewöhnlichen Zeitraum in der Alltags- und Lebenswirklichkeit, welcher in der Inszenierung des Ausbruches aus gewohnten Abläufen auf vielfältige Weise neue Gestaltungsspielräume und Perspektiven eröffnet , die zu untersuchen wären.
V. Simuliertes Reisen
Dem Reisen als Erkundung eines anderen Raums im Überqueren von regionalen und nationalen Grenzen steht das simulierte Reisen gegenüber. Zu untersuchen wäre das Konzept der imaginären Reise, wie sie etwa „Themenparks,“ Weltausstellungen und Jahrmärkte direkt vor Ort ermöglichen. Die Literatur kann in der Inszenierung dieser Praxis auf die lange Tradition der imaginären Reiseerzählung zurückgreifen, welche die textuelle Repräsentation von Reisen schon lange von der bloßen „Wiedergabe“ von Erfahrung freispricht, indem das Reisen als Verfahren der Hervorbringung fremder Welten fungiert.
Konferenzsprachen sind Englisch und Deutsch.
Keynote-SprecherInnen u.a.: Prof. Dr. Tim Youngs (Professor of English and Travel Studies/Nottingham: Centre for Travel Writing Studies); Dr. Alison E. Martin (Assistant Professor/Halle: English, German and Dutch Travel writing, 18th and 19th centuries)
Bitte senden Sie Ihre Abstracts (ca. 300 Wörter) bis zum 30. Juni 2012 an travel.writing@uni-muenster.de
Organisation:
Prof. Dr. Lut Missinne (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
Prof. Dr. Herbert van Uffelen (Universität Wien)
Dr. Hans Vandevoorde (Vrije Universiteit Brussel)
Dr. Tom Sintobin (Radboud Universiteit Nijmegen)
Beatrix van Dam M.A. (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
______________________
ENGLISH
Through words and places: Travel and writing in Dutch and German-speaking regions of Europe between 1800 and 1950
Interdisciplinary research colloquium from March 1st -2nd, 2013, to be held at the University of Münster
Call for Papers
Deadline for Abstracts: 30 June 2012
The concept of travel is often associated with far away places, the exotic and a confrontation with an ‘other’. However, travel has also taken (and still takes) place on a smaller scale, for example, in a neighbouring country or region that does not appear so “different” at first. Despite their national borders, the Netherlands, Belgium, Germany, Switzerland and Austria constituted an area that was closely entangled economically, politically and socially throughout the 19th century and at the beginning of the 20th century. Their network of connections is manifested in specific travel movements that crosscut German and Dutch-speaking regions.
The colloquium aims to take a dual approach to these travel routes: Travelling will be conceptualised as a cultural practice within its historical context; and, it will be considered through the textual practice of travel writing. Travelling as a cultural practice entails the physical act of travelling, as this becomes embedded in its cultural aspects: travel organisations and agents, the means of transport and travel accessories, the contextualisation of travelling as social (e.g., travel as a status symbol), cultural (e.g., travelling clothes) and historical (e.g., the First World War as a stimulus for increased travel). Research concerning travel as a cultural practice might turn towards tourism, ethnology and anthropology for insight into how travel is comprised of actions that are embedded in a cultural and historical context and how these actions have become associated with social, communicative and ideological values. In addition to filmic presentations, the textual practice of writing about travelling encompasses a multitude of texts such as the travelogue, travel report, travel narrative, travel guide and travel novel. This breadth introduces the problem of genre borders within this corpus of texts. On a textual level travelling can become the driving force behind narration in different ways: through the various methods of textual presentation, travelling can provide momentum when it develops into a textual practice that exceeds a pure rendition of the experienced dynamic of travelling.
The following analytical categories provide general parameters for both historico-cultural perspectives and literary perspectives:
I. Images of self and ‘other’
Travelling is a cultivated state of exception in terms of a temporally limited movement from one’s own context into a different region. This offers a multitude of possibilities for experiencing and forming impressions of the respective country and thus reflecting upon and revising one’s self-image. Images of the self and other play a role on both regional and national levels and offer diverse research perspectives in the ever-changing historical and political contexts of the neighbouring countries and regions considered. The focus on travellers’ perspectives originally from the Dutch or German-speaking regions and travelling within these regions can be expanded upon to include other perspectives of travellers who explore the German-Dutch region but are not from the region.
II. Dynamic space
Where travelling is concerned, “space” does not refer merely to “territories” that can be traversed. Travellers create specific types of “space” in many ways, and these are loaded with meaning. Some examples include the hotel as a place to make contact, the monument as a “sight” and the train as a “space of movement.” When travelling becomes a textual practice, the texts are furthermore characterised by “topoi” or “shared spaces” that influence the textual structure independently of the “actual” course of the journey. Many potential analytical perspectives can be used to expose processes that relate to the creation of meaning in “space.”
III. Individuality vs. collectivity
Travel, both as a cultural and as textual practice, is situated between notions of individuality and collectivity. If authentic contact with an “other” is sought at the individual level – for example with regard to the (literary) borderline figure of the “tourist” – this leads to questions concerning how this search relates to the collective as well as to the mediated travel experience found in the plethora of travel guides and emerging literary tourism. With regard to the portrayal of authenticity, travel texts can be compared to other genres such as autobiography or the historical novel.
IV. Travel on the micro and macro levels
Apart from large-scale journeys extending over several weeks, travel in the 19th and 20th centuries also took place on the micro level, for example, in the form of daytrips undertaken by train or car. Even on a micro level, travel creates an exceptional time slot in the reality of everyday life. When this form of travel is portrayed as an escape from routine it opens up new perspectives that are worthy of closer examination.
V. Simulated travel
Travel as the exploration of a different area through the crossing of regional and national borders stands vis-à-vis simulated travel. Here, relevant topics include the concept of the imaginary journey made possible locally by “theme parks”, world exhibitions and fairs. In the portrayal of simulated travel, literature has a long tradition: narration about imaginary voyages since the eighteenth centuries has absolved textual representation from a mere “reproduction” of experience, with travelling becoming a textual technique to create foreign worlds.
The conference will be held in English and German.
Keynote speakers et al.: Prof. Dr. Tim Youngs (Professor of English and Travel Studies/Nottingham: Centre for Travel Writing Studies); Dr. Alison E. Martin (Assistant Professor/Halle: English, German and Dutch Travel writing, 18th and 19th centuries)
Please send your abstracts (ca. 300 words) to travel.writing@uni-muenster.de
by 30 June 2012.
Organisation:
Prof. Dr. Lut Missinne (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
Prof. Dr. Herbert van Uffelen (Universität Wien)
Dr. Hans Vandevoorde (Vrije Universiteit Brussel)
Dr. Tom Sintobin (Radboud Universiteit Nijmegen)
Beatrix van Dam M.A. (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
Laat een reactie achter