Gerne machen wir Sie auf eine interessante Neuerscheinung aufmerksam, die kürzlich Open Access veröffentlicht wurde: Anja van de Pol-Tegge, Belgische Literaturen in deutscher Übersetzung.
Die Arbeit entstand auf der Grundlage eines Cotutelle-Vertrags zwischen der Vrije Universiteit Brussel und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Der Titel der an der Vrije Universiteit Brussel eingereichten Dissertationsschrift lautet »Belgische Literaturen in deutscher Übersetzung. Mehrsprachigkeit und Kulturtransfer (1945 bis zur Gegenwart)«. Die Disputation fand am 13. September 2021 an der Vrije Universiteit Brussel statt.
Zum Inhalt
Die vorliegende Untersuchung der Rezeptionsmechanismen belgischer Literaturen in der Bundesrepublik wirft einen neuen Blick auf die Komplexität der kulturellen und historischen Verflechtungen zwischen den Nachbarländern Belgien und Deutschland. Die Ereignisse der beiden Weltkriege führten zu Brüchen im bilateralen Verhältnis. Nach 1945 erfolgte ein Neubeginn der deutsch-belgischen Beziehungen, der kultur- und übersetzungswissenschaftlich noch wenig ergründet ist. In diesem historischen Moment setzt diese Studie an und folgt den Spuren der diskursiven Entwicklungen in den Folgejahren bis heute.
Ein Forschungsprojekt zur extra-belgischen Wahrnehmung Belgiens anhand der belgisch-deutschen Literaturübersetzung wurde bislang nicht durchgeführt. Der mehrsprachige belgische Ausgangskontext mit seinen soziologischen Verflechtungen wurde in bisherigen Untersuchungen nicht systematisch berücksichtigt. Insbesondere wurden noch keine vergleichenden Übersetzungsstudien durchgeführt, die Aufschluss über Erwartungshaltungen und Interessenlagen hinsichtlich belgischer Literaturen im deutschen Aufnahmekontext geben. Eine entsprechende spezifische und umfassende Studie zur belgisch-deutschen Literaturübersetzung unter Berücksichtigung beider Ausgangssprachen ‒ Französisch und Niederländisch ‒ fehlt bisher. Diese Forschungslücke wird mit der nunmehr vorliegenden Untersuchung für den Zeitraum 1945 bis heute geschlossen.
Die Basis für diese Studie bildet ein paralleles Textkorpus belgischer Romane in den Ausgangssprachen Französisch und Niederländisch und der Zielsprache Deutsch. Hierin enthalten sind Werke der Autoren Marie Gevers, Louis Paul Boon, Hugo Claus, Fikry El Azzouzi, Thomas Gunzig und Amélie Nothomb. Auf der Grundlage vergleichender Übersetzungsanalysen gibt die Untersuchung Aufschluss über im deutschen Zielkontext gültige epistemische Konfigurationen. Diese werden auf der Grundlage eines innovativen Forschungsdesigns über Images der Fremdwahrnehmung und Selbstidentifikation abgebildet und zu Tendenzen der Translationsdynamik zusammengeführt. Somit wird die durch gesellschaftliche Diskurse gesteuerte Wirkmacht auf belgische Literaturen im deutschen Aufnahmekontext sowohl konkret dargestellt als auch auf einer abstrakten Ebene veranschaulicht. Die kulturkonstruierende Funktion des Übersetzens in Abhängigkeit von sozio-historischen Diskursen wird auf diese Weise verdeutlicht.
Insgesamt wird mit dieser Studie ein übergreifender translationswissenschaftlicher Betrachtungsmodus geschaffen, der nicht nur die Übersetzungswissenschaften methodologisch anreichert, sondern darüber hinaus einen Beitrag leistet zu den Forschungsgebieten Literatur und Mehrsprachigkeit, Kultur und Transfer sowie zur Rezeptionsforschung und allgemeinen Belgienforschung. Insbesondere trägt der interdisziplinäre translationswissenschaftliche Forschungsansatz der vorliegenden Untersuchung dazu bei, gesellschaftliche Zustände kritisch zu beleuchten. So kann anhand der Studie eine Diskursgeschichte der Bundesrepublik nachvollzogen werden. Es wird gezeigt, wie sich gesellschaftliche Diskurse im Laufe der Zeit ändern. Die Untersuchung reflektiert somit den Mehrwert der Übersetzungswissenschaft für kulturwissenschaftliche Fragestellungen. Entsprechend ist die vorliegende Studie hinsichtlich ihrer Methodik anschlussfähig für die Untersuchung anderer Kontexte. Vor dem Hintergrund der Vielsprachigkeit und kulturellen Pluralität im europäischen Raum bietet sich die Studie beispielsweise an, die Komplexität kultureller Bezüge in Europa zu ergründen.
Pol-Tegge, Anja van de. Belgische Literaturen in deutscher Übersetzung. Kulturelle und historische Verflechtungen von 1945 bis zur Gegenwart. Bielefeld: transcript. 2023. DOI: 10.14361/9783839465721. Downloaden
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