von Henning Radke
Amsterdam im Spätsommer: Simon aus Südafrika hatte seinen Besuch angekündigt. Wir kannten uns bereits zu meiner Zeit als Austauschstudent in Stellenbosch. Nun wollte er Land und Leute zwischen Ems und Schelde kennenlernen. Noch bevor wir die Koffer abstellten, führte uns der Weg in ein Amsterdamer Telefongeschäft, um Simon mit einer lokalen SIM-Karte auszustatten:
„Goedendag“, begrüßte ich die Mitarbeiterin hinter dem Tresen auf Niederländisch. „We willen graag een simkaart kopen. Kan dat?“
„Natuurlijk“, antwortete sie freundlich.
Simon übernahm das Gespräch. Ohne vorherige Ankündigung sprach er Afrikaans. Ich hielt für einen Augenblick den Atem an: Wie würde die Verkäuferin auf den unverhofften Sprachwechsel reagieren? Sie reagierte umgehend und zwar auf Niederländisch. So entspann sich ein Dialog im gegenseitigen Wechsel beider Sprachen, sodass diese im Gespräch fast miteinander zu verschmelzen schienen. Dabei besaßen weder Simon noch die Verkäuferin Kenntnisse der jeweils anderen Sprache. Trotzdem funktionierte das Gespräch; die enge Sprachverwandtschaft machte es möglich. Hinterher verriet Simon jedoch, dass er nicht jedes Wort verstanden habe. Aber das bräuchte er eben auch nicht. Aus dem Zusammenhang wurde stets klar, was gemeint war. Diese Art der Kommunikation funktioniert wie ein Barcode: Wenn nur genug schwarze Streifen vorhanden sind, fallen die Weißen nicht mehr ins Gewicht. Man kann den Code trotzdem lesen.
Es war nicht das erste Mal, dass ich Zeuge eines afrikaans-niederländischen Gespräches wurde: im Amsterdamer Zuid-Afrikahuis zum Beispiel oder auf dem Afrikaans Grammar Workshop im belgischen Gent. Trotzdem hinterließ das Gespräch im Telefongeschäft einen nachhaltigen Eindruck auf mich. Es waren die Spontanität und Selbstverständlichkeit, die mich beeindruckten: Während man an einem Ort wie dem Zuid-Afrikahuis davon ausgehen kann, dass Afrikaans gesprochen wird, konnte man der Verkäuferin eine solche Erwartungshaltung nicht unterstellen. Trotzdem verzog sie keine Miene, zögerte nicht einen Moment und hatte augenscheinlich nicht das geringste Verständnisproblem, als sie unverhofft auf die Sprache aus dem südlichen Afrika traf. Dazu hätte sie Grund genug gehabt, denn trotz aller Gemeinsamkeiten gibt es signifikante Unterschiede: Da ist im Afrikaans z.B. die Diphthongierung langer Vokale, wodurch loop wie luäp (laufen) und weet wie wiät (wissen) ausgesprochen werden. Anders ausgedrückt: Wo im Niederländischen ein langes /oː/ oder /eː/ kommen, spricht man im Afrikaans die Doppelvokale /ʊə/ bzw. /ɪə/. Zudem fällt das intervokale /ɣ/ weg. Zwischen zwei Vokalen steht also nie ein /g/: Aus dem niederländischen regen wird daher reën und aus dagen (Tage) und ogen (Augen) werden daë bzw. oë. Diese Unterschiede führen dazu, dass man sich oftmals erst in die jeweils andere Sprache „reinhören“ muss.
Zudem werden im Afrikaans die Verben im Präsens nicht konjugiert. Ein Satz wie „wir sind froh“ heißt auf Niederländisch „we zijn blij“ und auf Afrikaans „ons is bly“. Während ons im Niederländischen nur als Possessivpronomen (ons huis = unser Haus) und als Objektform des Personalpronomens vorkommt (we vragen ons af = wir fragen uns), stellt es im Afrikaans zudem auch die Subjektform (ons vra ons af = wir fragen uns), wohingegen das Niederländische hier analog zum Deutschen eine eigenständige Form kennt: we (betont: wij). Aus niederländischer Sicht klingt dieser Satz in etwa so, als würde man sagen: „Uns is froh.“ Die verneinte Form „ons is nie bly nie“ würde demnach wie „uns is nich froh nich“ klingen. Verständlich, aber ungewohnt.
Warum also verlief das Gespräch so selbstverständlich? Dafür gab es vor allem drei Gründe: Zum einen sprach Simon deutlich und nicht allzu schnell. Zum anderen gab es keine ablenkenden Hintergrundgeräusche, da wir die einzigen Kunden im Geschäft waren. Und dann trafen wir wohl auch auf eine sehr freundliche Mitarbeiterin. Diese Faktoren erhöhten die gegenseitige Verständlichkeit und motivierten Simon, auch alle weiteren Gespräche in Amsterdam auf Afrikaans zu führen.
Einmal gab es dann doch Verständnisschwierigkeiten: Als wir abends beim Italiener eine Pizza bestellten, erntete Simon ein ratloses Gesicht der Kellnerin. Sichtlich enttäuscht wechselte er ins Englische. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass die Kellnerin keine Niederländerin war und Niederländisch erst noch lernte. Simons Gesichtszüge entspannten sich. Den Rest seines Urlaub sprachen wir weiterhin Afrikaans in Amsterdam.
Deze post verscheen eerder op het blog van de opleiding Nederlands in Berlijn.
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